Wenn ich diese Geschichte nicht selbst erlebt hätte, ich würde sie nicht glauben. Sie hat sich wirklich so zugetragen, ich habe nichts erfunden.
Hofpause 9:45 bis 10:00 Uhr:
Kinder zwischen 9 und 14 Jahren spielen im Ballkäfig.
Am Ende der Pause kommen meine 9-jährigen Schüler verärgert zu mir und beschweren sich über einen „KMS ler“, der ihren Ball auf den Baum geschossen hat.
Ich: Zeigt ihn mir, wer ist es?
Kinder: Der dort (Schüler sind schon am Weg ins Schulgebäude)
Ich gehe zu dem Schüler und fahre ihn unfreundlich an: Meine Schüler meinen, du hast den Ball auf den Baum geschossen?
Er (sehr genervt, patzig, „frech“): Ja, die haben mich dauernd abgeschossen. Ich hol den sicher nicht wieder runter.
Ich (streng, grantig, genervt): Wie heißt du?
Er (widerwillig): Felix
Ich (von oben herab): Klasse?
Er (leise): 4b
Ich(drohend): Ich werde mit deinem Klassenvorstand sprechen.
Im Klassenraum erzählen mir meine Schüler kurz, wie sie die Geschichte wahrgenommen haben:
Die KMS Kinder fetzen die Bälle, die ihnen vor die Füße rollen, immer durch die Gegend.
„Wir haben nichts gemacht, und er hat unseren Ball einfach auf den Baum geschossen.“
Noch während des ganzen Vormittages lässt mir der Vorfall keine Ruhe. Warum gelang es mir nach drei Wochenenden GFK Training in dieser Situation nicht, anzuwenden, was ich gelernt habe, wo es doch mit meiner Klasse schon öfters gelingt?
Ich glaube ich hatte Angst vor dem 14jährigen Schüler. Ich musste doch zeigen, wer hier der Chef ist!? Und da kommen dann die alten Muster durch.
Dann allerdings dachte ich: „Wenn nicht jetzt, wann dann ausprobieren? Was soll schon passieren? Vielleicht kann ich noch etwas erreichen.“
Um 12:45 Uhr am selben Tag gehe ich also hinüber in die KMS und schaue am Stundenplan, was die 4b gerade hat. Zufällig ist gerade Wahlpflichtfachstunde mit der Klassenvorständin. Ich kenne die Kolleginnen der KMS seit vielen Jahren.
Ich klopfe an, bitte die Kollegin zu mir, und frage sie ob ich mit Felix kurz sprechen kann wegen eines Vorfalles in der Hofpause.
Sie: Aha, der Felix, e klar, so lang du willst, gib ihm nur ordentlich. (Sie hat die Klasse übernommen, und es gibt immer wieder Probleme)
Sie holt ihn zur Tür.
Ich (sehr nervös und unsicher): Felix, ich würde gern mit dir noch einmal über der Vorfall heute in der Hofpause sprechen, ist es für dich okey, wenn wir jetzt kurz hinausgehen und drüber reden? Mir ist sehr wichtig, dass wir gut miteinander auskommen.
Felix (sehr freundlich, verwundert): Ja gut.
Ich: Wollen wir uns setzen? (Am Gang gibt es Bänke, wir sind ungestört. Schon diese kurze Geste genügte um in Beziehung zu kommen. Ich konnte es kaum glauben.)
Ich: Kann es sein, dass du sehr genervt warst, weil dich der Ball dauernd getroffen hat?
Felix: (Total verwundert und mit tiefem Seufzer): Ja
Ich: Und dann hast du aus Ärger den Ball einfach los werden wollen?
Felix: Genau, aber ich wollte ihn nicht auf den Baum schießen, nur weit weg.
Ich: Ich verstehe, dass dich die jüngeren Kinder manchmal beim Spielen stören. Sie hätten aber gerne ihren Ball wieder. Ich werde auch mit den Kindern darüber reden.
Felix: Ich werde ihn herunterholen.
Ich : Wann ist es dir möglich?
Felix: Morgen in der großen Pause. Wo soll ich ihn hinbringen? Oder soll ich ihn in meinem Spind einsperren?
Ich: Ich werde auch im Hof sein.
Am nächsten Tag:
Ich spreche mit meinen Schülern noch einmal in Ruhe über den Vorfall und erzähle ihnen, dass Felix gestresst war, weil er so oft in seinem Spiel gestört wurde. Ich erinnere sie an unseren ehemaligen Schüler mit Autismus, von dem sie ja kennen, dass manche Kinder schneller gestresst sind, betone aber auch, dass ich sein Verhalten nicht gut heiße. Gemeinsam erinnern wir uns wieder an schon vereinbarte Regeln für den Ballkäfig, damit das Miteinander gut gelingen kann.
Große Pause am nächsten Tag:
Wir sind schon im Hof. Felix kommt mit 5 seiner Kameraden, 3 Lederbällen, und gemeinsam findet das Ballherunterschießen statt, unter Anfeuerung meiner Burschen. Nach einem „Dankeschön“ gibt es noch ein friedliches Nebeneinander, Miteinander, Durcheinander im Ballkäfig.
Nur der arme Baum hat sehr gelitten und musste einige Ästchen opfern.
Am nächsten Tag habe ich dann noch mit der Klassenvorständin gesprochen, weil es mir wichtig war sie zu informieren.
Auch der Direktorin habe ich die Geschichte erzählt. Sie meinte, die 4b ist eine Klasse, die viele Lehrerwechsel hinter sich hat, ungünstig zusammengesetzt ist, in die keiner gern hinein geht, es gibt fast nur Verbote,…. Felix ist ein Schüler, der sehr schnell abblockt, zumacht und frech wird. Sie hat sich gefreut eine positive Geschichte von ihm zu hören.
Wien, im März 2015
Katharina Kinsky-Kendöl
PVS St. Franziskus
1030 Wien
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns Deinen Kommentar!