Beitrag verfasst von Michaela Köhler, Klassenlehrerin der 2.a in Gratwein/Stmk (2014/15)
Dieses Projekt wurde vom Bildungsförderungsfonds für Gesundheit und Nachhaltige Entwicklung des Bundesministeriums für Bildung und Frauen, 2016 ausgezeichnet.
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Meine „neue“ Haltung
Als Lehrerin möchte ich oft die Streitsituationen meiner Kinder regeln und zwischen den beiden „Streithähnen“ vermitteln. Doch immer häufiger gelingt es mir eine andere Haltung einzunehmen und die Situation den Kindern zu lassen. Ich unterstütze sie, indem ich ihnen dabei helfe, sich dem anderen mitzuteilen und nicht dadurch, dass ich dem einen oder anderen eine Entschuldigung oder ein „Hand shake“ abverlange.
Folgende Situation: Ein Schüler hatte mit einer Schülerin einen Konflikt. Sie wurde von ihm gerempelt und das hat ihr weh getan. Sie kam mit dem Anliegen zu mir. Anstatt gleich vom Schüler eine Entschuldigung zu erwarten bat ich das Mädchen, dem Jungen zu schildern, wie es ihr jetzt geht, was sie gerade stört. Den Jungen bat ich das zu wiederholen. „Du hast gesagt, dass tut dir weh, wenn ich dich rempel.“ Das Mädchen fühlte sich verstanden und sagte „Ja, das ist unangenehm“. Ich fragte nach, ob das für das Mädchen so passt. Das Mädchen nickte und der Bub gab zu verstehen, dass er das nachfühlen kann. So gingen beide gut auseinander.
Lehrerverhalten
Ich konnte auch beobachten, dass ich meine Haltung vor der Klasse von „Seid endlich leise“ hin zu „Ich möchte euch gerne etwas zeigen/erklären/mit euch etwas besprechen und ich hab mir etwas überlegt. Damit ich euch das gut zeigen kann, brauche ich Ruhe und eure Aufmerksamkeit, denn ich habe viel Zeit und Überlegungen für die Vorbereitung gehabt und es ist mir wichtig, dass alle das gut sehen und hören können.“
Die Kinder richten ihre Aufmerksamkeit ganz anders auf mich und hören mir zu.
Konsensfindung
Eine Situation in meiner Klasse hat mich sehr bewegt, da das Ergebnis ein Konsens war, mit dem alle einverstanden waren.
Es ging um die Sitzordnung. Wer möchte neben wem sitzen? Ich stellte die Frage, wie wir das lösen können. Einige Kinder waren für losen, die anderen wollten sich den Sitznachbarn/die Sitznachbarin aussuchen.
Da nun zwei Meinungen da waren, meinten die einen sofort, wir sollen abstimmen und die Mehrheit gewinnt. Ich gab zu bedenken, dass es dann Verlierer gibt und dass damit vielleicht nicht alle einverstanden sind. Ich fragte, ob es möglich sei, eine gemeinsame Lösung zu finden, die für alle soweit passt.
Nun begann ein sehr spannender Prozess. Die einen Kinder sammelten Argumente für „das Losen“ und die anderen sammelten Argumente für die „freie Wahl“. Es waren 3 Kinder fürs Losen. So versuchten die anderen ihre Argumente an diese drei Kinder zu richten. „Wenn du dir deinen Sitznachbarn aussuchen kannst, dann ist das doch besser, weil du dann neben jemanden sitzt, den du gerne magst.“ Ein Kind der anderen Gruppe meinte: „Aber wenn wir losen, dann ist es fair und man sitzt neben jemandem, der zufällig gezogen wurde- das ist auch gut.“ Dann wieder ein anderes Argument: „Aber du kannst besser lernen, neben dem Kind, neben dem du sitzen willst“. Ganz ruhig kam dann ein Mädchen zu mir und flüsterte mir zu. „Du, ich bin jetzt auch für die freie Wahl.“ Ich machte die Kinder darauf aufmerksam. Da kamen noch ein paar Argumente und auch die beiden anderen Kinder sagten der Klasse, dass sie sich mit der Idee nun anfreunden können und auch gerne ihren Sitznachbarn auswählen würde. Ich vergewisserte mich, ob das nun für alle so passt. Die Kinder bejahten und ich spürte eine große Zufriedenheit über das Ergebnis. Die Klasse war sichtlich stolz, dass sie gemeinsam eine gute Lösung ohne Gewinner und Verlierer gefunden hatten. Und ich freute mich auch mit.
Anderer Umgang miteinander
Seit einiger Zeit beobachte ich einen anderen Umgang der Kinder untereinander. Sie teilen mehr mit, wie sich etwas anfühlt, wie es ihnen geht und was sie stört. Ich ermutige sie dazu, dem anderen zu sagen, was bei ihr/ihm gerade los ist. „Ich bin verärgert, wenn du meine Stifte ohne zu fragen nimmst.“ Mir ist dabei wichtig, dass die Kinder miteinander sprechen und mich immer weniger als „Streitschlichter“ brauchen. Die Kinder in meiner Klasse kommen fast nicht mehr, um bei mir über andere zu „petzen“. Und wenn doch, dann bitte ich die beiden, dass sie miteinander in einen Dialog kommen über ihre Gefühle und Bedürfnisse.
Fallbeispiel:
Zwei Kinder hatten einen Streit, ich weiß nicht mehr genau, worum es ging. Ein Mädchen, das nicht beteiligt war, fragte, ob es helfen könnte. Die beiden anderen baten sie darum und sie suchte mit den anderen eine Lösung, in etwa so: „Wäre das eine Idee, wenn ihr nun versucht, eine Stunde nicht miteinander zu sprechen?“. Die beiden sahen sich an, lachten und willigten ein. Nach der Stunde war der Streit vergessen, die „Streitschlichterin“ sehr stolz auf ihre Idee und die beiden anderen froh, dass sie sich nun wieder ansprechen konnten.
Arbeit mit Jeux Dramatiques
Eine spannende Erfahrung machte ich bei unserem Spiel in „Jeux Dramatiques“. Jedes Jahr werden wir dabei von Marion Seidl-Hofbauer begleitet und die Kinder lieben diese Form des Theaterspielens. Diesmal ging es um die Geschichte der „Kleinen Hexe“.
Da zu wenig Spieler waren, fragten die Kinder, ob ich und Corinna (Betreuerin eines Kindes) nicht mitspielen möchten. Was wir dann auch taten und in die Rolle der „Lausbuben“ schlüpften. Die Mutter hat ihre liebe Not mit uns. Mit liebevoller Konsequenz war sie im Spiel sehr beschäftigt mit uns und die anderen Kinder erfreuten sich über unseren Spielbeitrag. Nach zwei Stunden war die Einheit beendet.
Eine Nachbesprechung mit der Trainerin erfolgte erst Wochen später. So konnte ich meine Wahrnehmungen in Bezug auf meine Klasse in den letzten Wochen erzählen. Mir war aufgefallen, dass die Klasse sehr gut auf mich und meine Wünsche reagierte, dass sie ruhiger geworden waren und dass wir ein sehr wertschätzendes und gutes Miteinander hatten.
Anscheinend haben die Kinder nun erst so richtig mein Angebot des „Kommunizierens auf Augenhöhe“ angenommen, da ich mitgespielt habe. So haben sie meine Bemühungen zwar gehört und verstanden, aber mich immer noch stark als „dominante Autoritätsperson“, die sagt, wo es lang geht, wahrgenommen. Durch mein Spielen in der Rolle haben sie gespürt, dass ich mich auch dorthin begebe, wo sie sind und ich mit ihnen spiele und arbeite. Sie nehmen nun mein Angebot ernst und vertrauen auf dieses Miteinander.
Diese Rückmeldung war für mich sehr schön und sehr bereichernd, da ich dadurch auch bestärkt wurde, auf dem richtigen Weg zu sein.